Zwischen Himmel und Erde

von

Susann

Inzwischen bin ich in der Familie angekommen. Jeder Tag ist neu, jeder Tag ist anders. Am Wochenende geht es mit Antonio in die Berge. Die Familie hat 200 Kühe, die frei im Nationalpark der Sierra Nevada leben. Die Kühe wandern. Deswegen müssen sie ab und zu wieder höher in die Berge zurück getrieben werden. Unter der Woche fahre ich mit Antonio fast jeden Tag oder Abend los und kontrolliere die Straße, die durch die Berge führt. Es gibt aber auch Stellen, zu denen man mit dem Auto nicht mehr hinkommt. Also nimmt Antonio das Pferd und reitet im Western-Style durch die Berge um die Kühe zu treiben. Wie ein richtiger Cowboy und das ist hier etwas ganz besonders. 

Gleich an meinem ersten Wochenende in den Bergen, durfte ich auch schon mit aufs Pferd. Antonio arbeitet mit vier Hunden und einer ist schon gleich beim ersten Einsatz an diesem Tag verschwunden. Also sind wir wieder zurück geritten und haben den Hund gesucht – ohne Erfolg. 

Nach ein paar Stunden parken wir das Pferd und die Hunde auf einem Berg und er zeigt mir sein eigenes kleines Reich. Eine kleine Hütte aus Stein mit angrenzendem Stall. In der Hütte befindet sich ein winziges Zimmer in dem ein Bett, ein Tisch und zwei Stühle stehen. Eine Feuerstelle sorgt für Wärme, denn hier oben ist es auch jetzt sehr kalt. In einem zweiten Zimmer steht noch ein etwas größeres Bett und es gibt einen Fernseher mit gefühlt 50 Kanälen. In diesem kleinen aber feinen Reich übernachten wir heute bevor es am nächsten Tag zu einer Finca weiter in den Bergen geht. Ein Freund der Familie hat hier eine Art buddhistisches Retreat gebaut. Eine wunderschöne Finca mit Blick über die Berge. Hier ist die Welt wirklich noch in Ordnung. Es ist Sonntag und das bedeutet, dass geruht wird. Die ganze Familie ist hier und jeder tut was er gerade tun will. 

Heute hat Diego Geburtstag. Der Sohn der Familie wird 7 Jahre alt und alle feiern mit Kuchen und Kaffee. Abuela und Abuelo sind auch gekommen. Hier stehen auch einige Pferde der Familie. Clara arbeitet mit Pferden und es ist eine Freude zu sehen wie sie mit den Tieren umgeht.

Am Abend fahre ich mit der ganzen Familie zurück ins Cortijo. Diego durfte mit seinem Vater auf dem Pferd zurück reiten.

Am nächsten Tag fahre ich mit Antonio und seinem Freund Ricardo wieder in die Berge. Es muss eine Wasserleitung gelegt werden. Ein bestehender Wassergraben muss ausgehoben werden und es wird gemauert und gegraben. Weitere Workaways helfen mit. Ich habe zusätzlich flache Steine geschleppt um eine Steinmauer zu erhöhen, damit die Kühe nicht überall hinkommen. Und wieder kann ich mir das Fitnessstudio sparen. 

Nach einem langen, anstrengenden Tag machen Antonio, Ricardo und ich uns auf den Weg nach unten. Auf einmal biegt Antonio ab. Er will nochmal den verlorenen Hund suchen. Leider erfolglos. 

Müde steuert er das Auto mit dem Anhänger aus dem Gelände auf die Straße. Einige Kilometer weiter befanden sich wieder Kühe auf der Straße. Antonio steigt aus dem Wagen und macht seine Arbeit, während Ricardo und ich im Auto warten. Auf einmal taucht der verlorene Hund neben uns auf. “Antonio, er ist wieder da!” rief Ricardo. Die Freude stand Antonio ins Gesicht geschrieben. Die Kühe waren vertrieben und er wendet seinen Wagen mit dem Anhänger, was in den Bergen nicht ganz einfach ist mangels Platz.

“Wo ist der Hund?” fragte er. Wir sahen ihn nicht mehr. Antonio stieg aus und wir fanden ihn hockend über dem Hund, der neben der Straße bewegungslos lag. Blut floss. Antonio hatte seinen eigenen Hund überfahren. Er hat ihn nicht gesehen. Beim Wenden muss der Hund zwischen den Anhänger und mit dem Kopf unter die Reifen gekommen sein. 

Antonio streichelte den Hund nochmal, nahm ihm das Halsband ab und warf ihn den Abhang hinab. Es war schrecklich. Zwischen der Wiedersehensfreude und dem Tod lag nicht mal eine Minute. Antonio machte sich große Vorwürfe, ging aber wenig später wieder zur Tagesordnung über. Nachdem wir Ricardo abgesetzt haben, fragte er mich wie es mir geht. “Mir? Wie gehts dir?”, war meine Antwort. Die Trauer stand ihm ins Gesicht geschrieben. “Er war in den Bergen und er bleibt in den Bergen” sagte er und wir fuhren nach Hause.




































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